AUFRUF FÜR ABSTRASSUNGEN I Frist: 04.05.2020

18.02.2020

Sonderausgabe für Planungspraxis und Forschung
Raumgerechtigkeit in der Stadt- und Planungsausbildung

 

Thema
Das weit gefasste Konzept der räumlichen Gerechtigkeit hat sich als ein kritisches Thema in den Stadtforschungen herauskristallisiert, das in einem aktiven Zusammenhang mit der Förderung der sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Nachhaltigkeit steht. Räumliche Gerechtigkeit ist ein Bestreben, die sich vertiefende Ungleichheit, die dem Raum inhärent ist, in Frage zu stellen (Fainstein 2014, Soja 2010, Young 1990). Räumliche Gerechtigkeit ist kein neues Konzept, dennoch bleibt es aufgrund des globalen Kapitalismus, der durch gewinnorientierte Wirtschaftsmodelle gekennzeichnet ist, die die (Re-)Entwicklungspolitik und -praxis prägen, dringend relevant. Einerseits dient die Stadt weiterhin als Spielwiese für globalen Wettbewerb und wirtschaftliches Wachstum auf verschiedenen Ebenen, die oft durch die Prioritäten der Hauptstadt auf Kosten des Wohlergehens der sozial und wirtschaftlich benachteiligten Stadtbevölkerung gelenkt werden. Einige Beispiele für diese globalen Trends sind die Privatisierung des öffentlichen Raums (d.h. öffentliche Räume in Privatbesitz, "POPs" in London) (Niksic und Sezer, 2017), die Gentrifizierung (Lees et al. 2016) und die Konzentration der Armut insbesondere in ethnischen Enklaven (Musterd 2016, Lichter et al. 2012). Andererseits ist die räumliche Gerechtigkeit angesichts der zunehmenden Ungleichheiten bei der Nutzung von Umweltressourcen und dem Zugang zu einer gesunden Umwelt über die Stadt hinaus relevant. Die Geographie der räumlichen Ungerechtigkeit übertrifft daher die konzeptionelle Kluft zwischen Stadt und Land. Räumliche Gerechtigkeit ist sowohl für die Sozialtheorie als auch für die politische Agenda von großem Nutzen und Wert (Williams 2018: 10-11).

Mehrere nationale und internationale Organisationen haben die kritische Notwendigkeit erkannt, Maßnahmen zur Verbesserung der Standards für räumliche Gerechtigkeit zu ergreifen. UN-Habitat nimmt in seiner Neuen Städtischen Agenda "gerechte Städte für alle" als Teil seiner "Vision von Städten für alle (...) ohne jegliche Diskriminierung (...) zur Förderung von Wohlstand und Lebensqualität für alle" auf und bekräftigt gleichzeitig sein Engagement für eine nachhaltige Stadtentwicklung (2017: 4-5). In jüngerer Zeit hat die American Planning Association (APA) einen "Planning for Equity Policy Guide" veröffentlicht, um "ihre Verpflichtung zur Förderung von Gerechtigkeit zu bekräftigen und explizit Barrieren in Politiken und Vorschriften zu beseitigen, die die Ungleichheit in den Vereinigten Staaten aufrechterhalten" (2019: 3). APA definiert Gleichheit als "gerechte und faire Eingliederung in eine Gesellschaft", und in ihrem politischen Leitfaden werden "empfohlene politische Maßnahmen" für Planer umrissen, "um Politiken umzusetzen, die zu fairen, gerechten Gemeinschaften führen" (2019: 3,5).

Es gibt hartnäckige Forderungen von Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen, darunter Geographie, Politikwissenschaft und Soziologie, die Gerechtigkeitsperspektive zu nutzen, um die wachsenden Ungleichheiten im Raum zu erforschen und den Bedingungen der räumlichen Ungleichheit zu begegnen. Die pädagogischen Ansätze in den Sozialwissenschaften zur Verbreitung des Wissens über Schlüsselideen und Prinzipien der räumlichen Gerechtigkeit und ihrer praktischen Umsetzung sind jedoch nach wie vor wenig erforscht (siehe Blaisdell 2019, Carrillo und Mendez 2019, Rubel et al. 2016a, Rubel et al. 2016b). Um diese Lücke in der Literatur zu schließen, soll diese Sonderausgabe eine interdisziplinäre und internationale Gruppe von Beiträgen zusammenbringen, um die neuesten Ansätze und Strategien zur Förderung des Verständnisses von Raumordnungsgerechtigkeit in Wissenschaft, Politik und Praxis zu diskutieren und zu erforschen. Einige der Fragen, die in den Beiträgen angesprochen werden können, sind unter anderem

1. Welchen Platz nimmt Raumgerechtigkeit in der stadtwissenschaftlichen Ausbildung ein? Brauchen wir eine "Raumordnungspädagogik"?

2. Wie bzw. inwieweit sind Stadtgestalter und -planer durch ihre formale Ausbildung darauf vorbereitet, in ihrer Praxis auf der Seite der Raumgerechtigkeit zu stehen?

3. Welche Möglichkeiten gibt es jenseits der konventionellen Lehrformen (d.h. digitale Geisteswissenschaften, digitale Ethnographien, Multimedia), um eine raumgerechtigkeitsorientierte Bildung im Kontext der komplexen Rollen und der Zukunft von Städten und Regionen zu fördern?

4. Welche pädagogischen Fallstricke gibt es bei der Planung von Lehrplänen, Lehrmethoden und Materialien, die zur Förderung des Verständnisses von Raumgerechtigkeit eingesetzt werden?

5. Was sind die alternativen Bildungsplattformen jenseits der akademischen Welt, um das kollektive Wissen über räumliche Gerechtigkeit zu fördern und eine direkte Verbindung zu den Gemeinschaften und der Basis herzustellen?

In dieser Sonderausgabe rufen wir zu Beiträgen von Wissenschaftlern aus der Stadtforschung, der Planung und verwandten Bereichen der Sozial- und Geisteswissenschaften, von Aktivisten, unabhängigen Forschern und Interessengruppen mit expliziten Rauminteressen auf, die sich mit den Möglichkeiten und Herausforderungen der Förderung des praktisch anwendbaren Wissens über Raumgerechtigkeit als Prozess und als Suche nach einer Neuvorstellung von Raum befassen.

Interessierte Teilnehmer an dieser Sonderausgabe sind eingeladen, eine Zusammenfassung mit 500 Wörtern an spatialjustice2020@gmail.com zu senden. Der Abstract sollte folgendes enthalten:

- Titel und Schlüsselwörter;

- Name des/der Autors/en, aktuelle Zugehörigkeit und E-Mail-Adresse;

- Forschungsfragen, Methodik und wesentliche Ergebnisse der Forschung;

- Fünf Schlüsselreferenzen;

- Kurzbiographie und eine Liste der jüngsten Veröffentlichungen des/der Autors/en; und

- Gegebenenfalls zwei zusammengehörige Bilder in der richtigen Auflösung (min. 200dpi).

Die Frist für die Einreichung von Abstracts ist der 4. Mai 2020. Nach einer Vorprüfung durch die Gastherausgeber werden die ausgewählten Autoren bis zum 8. Juni 2020 eingeladen, ein vollständiges Papier einzureichen. Die Frist für die Einreichung vollständiger Beiträge ist der 12. Oktober 2020. Die ausgewählten vollständigen Papiere werden für den Begutachtungsprozess mit Planning Practice and Research fortgesetzt.

Referenzen
APA (2019).Planning for Equity Policy Guide. https://planning-org-uploaded-media.s3.amazonaws.com/publication/download_pdf/Planning-for-Equity-Policy-Guide-rev.pdf

Blaisdell, B. (2019). Right to the classroom: seeking spatial justice in kindergarten. The Urban Review.

Carrillo, J. and Mendez, J. (2019). Inner work, public acts: making a case for public pedagogy and spatial justice within Latinx communities, The Urban Review, 51: 444-456.

Fainstein, S. (2014). The just city, International Journal of Urban Sciences, 18:1, 1-18.

Lees, L., Shin, H. B., & López-Morales, E. (2016). Planetary gentrification. John Wiley & Sons.

Lichter, D.T., Parisi, D., Taquino, M.C. (2012). The geography of exclusion: race, segregation, and concentrated poverty, Social Problems, 59:3, 364-388.

Musterd, S. (2005) Social and Ethnic Segregation in Europe: Levels, Causes, and Effects, Journal of Urban Affairs, 27:3, 331-348, DOI: 10.1111/j.0735-2166.2005.00239.x

Niksic, M. and Sezer, C. (ed) (2017) ‘Special issue: Public spaces and urban justice’, Built Environment, 43(2), 161-304.

Rubel, L., Hall-Wieckert, M., Lim, V. (2016a). Teaching mathematics for spatial justice: Beyond a victory narrative. Harvard Educational Review: Winter 2016, 86:4. 556-579.

Rubel, L., Lim, V., Hall-Wieckert, M., Katz, S. (2016b). Cash across the city: Participatory mapping and teaching for spatial justice, Journal of Urban Learning, Teaching, and Research, 12, 4-14.

Soja, E. (2010). Seeking Spatial Justice, Minneapolis: University of Minnesota Press.

UN Habitat (2017) New Urban Agenda. http://habitat3.org/wp-content/uploads/NUA-English.pdf

Williams, J. (2018). Spatial justice as analytic framework. Ph.D. dissertation, University of Michigan.

Young, I. M. (1990). Justice and the politics of difference. Princeton, NJ: Princeton University Press.

Über die Gastredakteure
Ceren Sezer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der RWTH Aachen. Ihre Forschungsinteressen umfassen die Themen Lebensfähigkeit und Nachhaltigkeit von öffentlichen Räumen, Stadtgestaltung und soziales Leben in der Stadt sowie Stadterneuerungs- und -erneuerungsprozesse. Sie ist Mitherausgeberin der Zeitschriften Marktplätze als Stadtentwicklungsstrategie (2013), Öffentlicher Raum und Stadtgerechtigkeit (2017) und Die Politik der Sichtbarkeit im öffentlichen Raum (2000). Sie ist Mitbegründerin und Koordinatorin einer internationalen Forschungsgruppe Öffentliche Räume und Stadtkulturen, die im Rahmen der Association of European Schools of Planning (AESOP) eingerichtet wurde.

Deniz Ay ist Stadtwissenschaftler, der sich auf transnationale Planung, Stadtverwaltung und Vertreibung spezialisiert hat. Seit 2019 ist sie als Forschungsstipendiatin am Brüsseler Zentrum für Urbanistik der VUB tätig. Deniz schloss ihr Doktoratsstudium in Stadtplanung an der University of Illinois at Urbana-Champaign ab und lehrte Kurse über internationale Entwicklung und transnationale Planung an der University of Bern-Institut für Geographie und der Ohio State University- Abteilung für Stadt- und Regionalplanung.