Nutzungsorientierter konzeptueller Gebäudeentwurf : Modellierungsmethode und Realisierungsansatz
Frank, Matthias Klaus; Russell, Peter (Thesis advisor); Stapenhorst, Carolin Christin (Thesis advisor)
Aachen (2018)
Doktorarbeit
Dissertation, RWTH Aachen University, 2018
Kurzfassung
Der konzeptuelle Gebäudeentwurf führt zu Festlegungen für das Gebäude und seine Nutzung. In dieser frühen Phase getroffene Entwurfsentscheidungen legen die Nutzungsmöglichkeiten des Gebäudes fest. Diese bestimmen seine Nutzbarkeit. Die Nutzbarkeit kann definiert werden als die durch das Gebäude erfüllte Unterstützung angeforderter Nutzungsprozesse, die aus einer Folge von Nutzungen von Funktionen und Bewegungen im umbauten Raum hin zu Funktionsangeboten bestehen. Die Nutzungsprozesse werden als Nutzungsfälle oder -szenarien meist textuell und auf Basis von Bauentwurfsstandards beschrieben. Die Anforderungen werden vom Architekten in einen Entwurf überführt. Eine formale Überprüfung von Nutzungsanforderungen ist gegenwärtig auf spezielle Nutzungsfälle wie Fluchtwegplanung oder Barrierefreiheit fokussiert und setzt ein Building Information Modeling (BIM) oder andere spezielle Entwurfsdatenerfassungen voraus. Individuelle und Nutzerrollen-orientierte Nutzungsfälle für einen individuellen Gebäudeentwurf werden allenfalls im BIM-Modell auf Basis von Erfahrungswerten des Architekten durchgespielt, werden aber nicht durchgängig formalisiert erfasst und können auch nicht computergestützt simuliert werden. Die Berücksichtigung der Anforderungen an die Nutzung eines Gebäudes - oder abstrakter eines Raumzusammenhangs - wird in dieser Arbeit als Gebäudenutzungsorientierung verstanden. Die Nutzungsorientierung im Gebäudeentwurf ist der Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Die Überlegungen, wie die Begriffe zur Nutzungsorientierung formal gefasst werden können, so dass auf dieser Basis eine Modellbildung erfolgen kann, die durch ein computergestütztes, modellbasiertes, methodisches Vorgehen relevante Verwendungen im Gebäudeentwurf ermöglicht, führen zu der Idee, etablierte Methoden zu betrachten, die insbesondere die Modellierung eines weiten Spektrums der realen Welt, ihrer Dinge und Abläufe gestatten: Die Informatik bietet genau diese Grundlagen für die Modellierung und ein methodisches Vorgehen. In einem interdisziplinären Diskurs, der die Problemstellung der Architektur, also der Unterstützung des nutzungsorientierten konzeptuellen Gebäudeentwurfs, mit dem Lösungsfundus der Informatik hinsichtlich der Modellierungsmethodik verbindet, wird eine methodische Modellierungsbasis für die herausgearbeiteten Anforderungen der gegebenen Problemstellung selektiert und ein Metamodell für den nutzungsorientierten konzeptuellen Gebäudeentwurf entwickelt sowie ein Realisierungsansatz vorgeschlagen, der mit BIM kombinierbar ist. Die methodische Vorgehensweise für Verwendungen im Entwurf ist Bestandteil der Modellierungsmethode. Zwei Verwendungen stehen im Vordergrund dieser Arbeit: die Unterstützung des Entwurfs von Individual- und Spezialbauten und die Unterstützung der Bestandsprüfung und Diagnose eines gegebenen Gebäudes. In beiden Verwendungen bilden bestehende Anforderungen an die Nutzung den Ausgangspunkt für eine Lösung der gestellten Aufgaben. +++ Ergebnisse: Im Rahmen des Diskurses über den funktionalisierten Raum und Nutzer ist die Einführung des Begriffs des nutzungsorientierten konzeptuellen Gebäudeentwurfs ein neuer Schritt zu einer Vervollständigung des Verständnisses über die Modellbildung von Gebäuden und ihrer Nutzung. Die formale Modellbildung zu den Unterbegriffen Gebäudenutzung, Gebäudetopologie, Nutzung und Nutzungsfall beschreibt eindeutig diese Begriffe. Die Verwendungen im Entwurf von Individual- und Spezialbauten sowie in der Diagnose zur Bestandsprüfung aufgrund formal spezifizierter Nutzungsanforderungen in Form von Nutzungsfällen werden unterstützt durch das methodische Vorgehen auf Basis von Modellen für die Gebäudenutzung, Gebäudetopologie und Nutzungsfälle, die aufgrund von Metamodellen aus Referenznetzen gebildet sind. Referenznetze sind Petrinetze. Der theoretische Beitrag für die Architekturinformatik liegt in der formal basierten Definition der Begriffe der Gebäudenutzung, Gebäudetopologie, Nutzung und des Nutzungsfalls, sowie der Unterstützung durch die Metamodelle und das methodische Vorgehen auf Basis des gewählten Realisierungsansatzes mit Referenznetzen. Für die Wahl einer Modellierungsbasis liegt die Verwendung von BIM mit den Industry Foundation Classes (IFC) im aktuellen Diskurs der Architekturinformatik nahe. Der erforderliche Modellierungsgegenstand der Gebäudenutzung mit ihrer inhärenten Dynamik ist mit Petrinetzen besser abzubilden, wie die Untersuchung der allgemeineren Unified Modeling Language (UML) zeigt. Es wird gezeigt, dass Integrationsmöglichkeiten zwischen BIM-Modellen auf Basis der IFC und den hier definierten Modellen bestehen, die in Integrationswerkzeugen implementiert werden können. Insofern ist die Arbeit auch ein Beitrag zum Diskurs über die Erweiterung von BIM um den Aspekt der Nutzungsorientierung und einer entsprechenden Erweiterung der Modellierungsbasis. Die Überprüfung der Nutzbarkeit eines Gebäudes unter dem Begriff des Model Checking ist in der Historie vielfach diskutiert und realisiert worden. Hierbei wird ein Modell des Gebäudes oder eine spezielle Abbildung des interessierenden Wirklichkeitsausschnitts gebildet. Die Anwendungsbereiche sind speziell. Die vorgestellte Modellierungsmethode bietet erstmalig die Möglichkeit, allgemeine Nutzungsanforderungen als Nutzungsfälle mit Nutzungsabläufen formal in graphischer Form zu spezifizieren und die Gebäudenutzung durch Simulation zu prüfen. Sie stellt damit einen bezüglich der Modellbasis neuen Beitrag zur Theorie und bezüglich der Werkzeugunterstützung des methodischen Vorgehens einen neuen Beitrag zur Praxis der Architekturinformatik dar.
Einrichtungen
- Lehr- und Forschungsgebiet Computergestütztes Entwerfen [211220]
Identifikationsnummern
- DOI: 10.18154/RWTH-2018-224952
- RWTH PUBLICATIONS: RWTH-2018-224952