Charles Arendt (1825-1910) : Leben und Werk des ersten Luxemburger Staatsarchitekten
Lutgen, Thomas; Raabe, Christian (Thesis advisor); Markschies, Michael Alexander (Thesis advisor)
Aachen (2023)
Doktorarbeit
Dissertation, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, 2023
Kurzfassung
Charles Arendt wird als erster Architekt des Landes im Jahr 1858 von der luxemburgischen Regierung zum Staatsarchitekten ernannt. Der im Jahr 1825 in dem kleinen Grenzort Vianden geborene Sohn des dortigen Bürgermeisters und Gerichtsvollziehers hat aufgrund des gut situierten bürgerlichen Elternhauses die Möglichkeit, eine erfolgreiche Schulausbildung zu absolvieren, die er im renommierten Athénée in der Hauptstadt abschließt. Der bekannte Zeichner Jean-Baptiste Fresez (1800-1867), der im Athénée seit 1841 unterrichtete, gehört zu den großen Förderern des künstlerisch begabten jungen Mannes. Neben Zeichnen gehört aber auch die Mathematik zu den Stärken Arendts.Die politischen Bestrebungen zur Verbesserung der Baukultur im Lande hatten im Jahr 1843 zur Gründung der Bauverwaltung Travaux publics durch die Regierung des Großherzogtums geführt. Dort konnte der talentierte Zeichner und humanistisch gebildete junge Mann Charles Arendt als Stage seine erste Ausbildung antreten. Das zuvor überwiegend von autodidaktischen Architekten und praktisch-handwerklichen Bauingenieuren geleitete öffentliche Bauwesen sollte durch besser qualifizierte Architekten begleitet und betreut werden. Das war das erklärte große Ziel der luxemburgischen Regierung im Jahr 1843. Dafür war der Staat bereit, jungen talentierten Männern an renommierten ausländischen Universitäten ein Architekturstudium zu ermöglichen. Dieses Studium sollte zur Verbesserung der Bauqualität im Land von nun an verpflichtend sein, um in der öffentlichen Bauverwaltung als Architekt eine Anstellung zu finden. Trotz der pekuniär schlechten Ausstattung des Luxemburger Staates zu dieser Zeit sah sich dieser dazu veranlasst, die Ausbildung für ausgewählte Bewerber durch Beibehaltung der vollen Bezüge zu unterstützen. Das große Potential Charles Arendts war den Leitern der Baubehörde schnell aufgefallen und so kam es nicht unerwartet, dass dieser zu den glücklichen Auserwählten gehörte, die ein solch bezahltes Studium im Ausland antreten konnten. Das erste Jahr absolviert er in Brüssel, wo er mit dem frühen belgischen Neugotiker, dem Architekten Dumont, in Kontakt kommt und dort am ersten neogotischen Kirchenneubau Brüssels St. Bonifatius in Ixelles (1846-49) mitarbeiten darf. Von dort zieht es ihn ein Jahr darauf zum Studium an die Königliche Akademie der Bildenden Künste in München, wo er große Persönlichkeiten wie den Architekten Ludwig Lange (1808-1868) und dessen Nachfolger Friedrich von Gärtner (1792-1847) kennen lernt. Mit dem erfolgreichen Abschluss in München tritt er seine große Studienreise an, die ihn über viele Städte in Deutschland zuletzt nach Köln zum dortigen Dombau und dann zurück nach Luxemburg führt. Hier möchte der engagierte und begeisterte Architekt seine Fähigkeiten unter Beweis stellen und bewirbt sich bei der öffentlichen Luxemburger Bauverwaltung. Entgegen seiner hohen Erwartungshaltung wird er dort angestellt, aber in die Niederlassung nach Diekirch versetzt und kann dort nur einfache Straßen und Brücken bauen. Arendt fühlt sich hier völlig unterfordert und versucht, außerhalb seines Dienstes tätig zu werden. So plant er ohne Bezahlung für seinen Geburts- und Heimatort Vianden die kleine Bildchenkapelle. Auf die Anregung des Leiters des öffentlichen Bauamtes François Joseph Charles Marie Wirtz kann er sogar einen eigenen Entwurf für das neue Palais de Justice in Diekirch einreichen. Sein großes Talent und seine Fähigkeiten schlagen bei seinen direkten Berufskollegen und später auch bei seinen Vorgesetzten in Neid und Missgunst um. Dennoch gelingt es ihm kurze Zeit darauf, die Position des Disktriktarchitekten in Grevenmacher anzutreten. Von dort kann er seine Karriere vorantreiben und wird im Jahr 1858 zum vorläufigen und dann ab 1862 unbefristet zum ersten Staatsarchitekt ernannt. Damit ist er aber kein Beamter im öffentlichen Staatsdienst, sondern ein von dem Luxemburger Staat bestellter Staatsarchitekt. Er erhält als freier Architekt für die Ausführung und Betreuung von öffentlichen Bauaufgaben eine jährliche staatliche Vergütung sowie ein vertraglich festgelegtes, um einen Prozentpunkt niedrigeres Architektenhonorar. Er begleitet dieses Amt über vierzig Jahre und kann in dieser Zeit eine schier unglaubliche Menge an Bauwerken errichten. Dabei muss er sich auch gegenüber den im freien Markt tätigen Architekten behaupten, die als direkte Mitbewerber agieren. Zu seinem Arbeitsspektrum gehören besonders der Neubau und Umbau von Sakralbauten und die Restaurierung von öffentlichen Gebäuden und Denkmälern. Nur wenige private Gebäude gehören zu seinem Œuvre. Unmittelbar mit seiner Pensionierung wird er zum Ehrenstaatsarchitekten ernannt. Unermüdlich arbeitet er als Architekt weiter und widmet sich seinen wissenschaftlichen Studien. Er verstirbt im Jahre 1910 nach einem erfüllten und arbeitsreichen Leben im Alter von 85 Jahren nach kurzer Krankheit. Charles Arendt prägte in seiner leitenden Funktion über fünfzig Jahre in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Bauwesen in Luxemburg. Der Verfasser dieser Studie ist promovierter Kunsthistoriker und Bauforscher sowie als akademischer Restaurator seit über 25 Jahren in Luxemburg tätig und wurde an zahlreichen Objekten mit dem Namen dieses Architekten konfrontiert. Es gibt nahezu kein historisches Gebäude oder Denkmal, das nicht mit dem Namen Charles Arendt verbunden werden kann. Bedauerlicherweise finden sich bis auf zwei historische Studien zu Arendt aber immer nur einzelne, disparate Hinweise zu seiner Person. Das Interesse an diesem für Luxemburg so bedeutenden Architekten wurde beim Verfasser so stark geweckt, dass er neben seiner freiberuflichen Tätigkeit eine eigene unabhängige Studie zu dieser Person durchführt hat. Ziel war es, neue Erkenntnisse zur Person Charles Arendt und seiner Funktion und Leistung als Staatsarchitekt zu gewinnen. Dabei sollte die Person, das Œuvre und die Wirkung dieses bedeutenden Architekten herausgearbeitet werden. Schnell wurde klar, dass hier die politischen und wirtschaftlichen Veränderungen im Großherzogtum Luxemburg einen maßgeblichen Einfluss auf die Baukultur Luxemburgs hatten. Die Studie umfasst aus diesem Grund Charles Arendts Biographie und unternimmt den Versuch, alle Objekte zu erfassen, an denen er tätig war. An ausgewählten Objekten erfolgten bautechnische Studien, um detaillierte Erkenntnisse zu den Wettbewerben, den Planungsabläufen und zum Bauverlauf dokumentieren zu können. Insbesondere wurden den technischen Verfahrensweisen und verwendeten Baumaterialien ein eigenes Kapitel gewidmet. Im Anhang der Studie befindet sich ein umfassender Werkkatalog von Arbeiten, die dem Architekten zugewiesen werden können.
Einrichtungen
- Lehr- und Forschungsgebiet Denkmalpflege und Historische Bauforschung [217220]
Identifikationsnummern
- RWTH PUBLICATIONS: RWTH-2023-08205